Helmut Kohl hat über den Weg zur Deutschen Einheit in seinen Memoiren geschrieben:
(Aus: Helmut Kohl: Vom Mauerfall zur Wiedervereinigung – Meine Erinnerungen; 2009 als Taschenbuch, 2014 als Hardcover-Jubiläumsbuch veröffentlicht; Droemer-Verlag, München)
„Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer - über vier Jahrzehnte nach Beginn des Kalten Krieges, 28 Jahre nach ihrer Errichtung. [...] Sie stand für die Spaltung Berlins, unseres Landes, Europas und der Welt in einen freien und einen unfreien Teil.“ (S. 7)
„Am 3. Oktober 1990 konnten wir den Tag der deutschen Einheit feiern. Es war der Triumph der Freiheit.“ (S. 7)
„weder Mauerfall noch Wiedervereinigung sind zwangsläufige Ereignisse der Geschichte, die sich einfach so ergeben haben. Mauerfall und Wiedervereinigung sind vielmehr das Ergebnis eines seit 1945/49 andauernden [...] Balanceaktes. Es war die stete Balance zwischen Abgrenzung und Annäherung.“ (S. 8)
„Dass die Mauer irgendwann fallen und Deutschland wieder vereint würde, daran hatte ich nie einen Zweifel. Aber wie und wann dies geschehen würde, war für mich immer eine offene Frage. Lange Zeit wusste ich nicht einmal, ob sich dies noch zu meinen Lebzeiten ergeben würde.“ (S. 8)
„Mit dem Mauerfall war die Einheit noch nicht erreicht. [...] Die Wiedervereinigung unseres Landes war vielmehr ein politischer Machtkampf um die europäische Statik und die Sicherheitsinteressen in Ost wie West.“ (S. 9)
„Ich zitiere für die Situation, in der ich mich damals wieder¬fand, gerne Otto von Bismarck. Es gibt kein besseres Bild: Wenn der Mantel Gottes durch die Geschichte weht, muss man zuspringen und ihn festhalten. Dafür müssen drei Voraussetzungen gegeben sein: Erstens muss man einen Blick dafür haben, dass es den Mantel Gottes gibt. Zweitens muss man ihn spüren, den historischen Moment, und drittens muss man springen und ihn festhalten (wollen). Dazu gehört nicht nur Mut. Es bedarf vielmehr einer Paarung von Mut und Klugheit.“ (S. 9)
„Der politische Einigungsprozess war in höchstem Maße sensibel, denn wir Deutschen waren ja nicht allein auf der Welt.“ (S. 9)
„Auf die Wiedervereinigung unseres Landes hatte ich immer hingearbeitet. Es entsprach meiner tiefsten Überzeugung, dass wir die deutsche Frage offenhalten mussten, bis der Moment kommen würde.“ (S. 10)
„Was heute manchem wie eine Selbstverständlichkeit erscheint, war in den insgesamt labilen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in höchstem Maße unsicher.“ (S. 11)
„Wahr ist auch, dass das Festhalten an der deutschen Frage immer schwieriger wurde, weil der Zeitgeist immer stärker dagegen stand. [...] Schon in den siebziger Jahren war die Einheit nur noch für wenige in unserem Land eine Herzensangelegenheit.“ (S. 13)
„Wer damals für die Einheit eintrat, galt als Ewiggestriger oder Kriegstreiber. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit, als ich 1976 als Oppositionsführer nach Bonn kam. Weil ich einer der wenigen war, die noch an die deutsche Einheit glaubten, stand ich in dem Ruf des »Hardliners«.“ (S. 13)
„Mit meinem Amtsantritt als Bundeskanzler 1982 schürten meine innenpolitischen Gegner sogleich Ängste vor einer vermeintlichen »neuen Eiszeit« zwischen Ost und West, die mit mir als Regierungschef anbrechen sollte.“ (S. 13)
„Meine Gegner sollten sich irren, das Gegenteil war der Fall:“ (S. 13)
„Die entscheidenden Verbündeten auf unserem Weg waren die Amerikaner. [...] Unser Schulterschluss beruhte neben persönlicher Sympathie ganz wesentlich darauf, dass wir die gleichen Grundüberzeugungen von Freiheit hatten.“ (S. 18f)
„Ganz ähnlich, was die Bedeutung von Vertrauen angeht, und doch ganz anders, was die deutsche Frage betrifft, verhielt es sich mit Michail Gorbatschow. Das Staatsoberhaupt der Sowjetunion wollte die deutsche Einheit ursprünglich nicht. [...] Die friedliche Linie behielt er über den gesamten Einigungsprozess bei. Wir Deutschen können ihm für seinen Mut nicht dankbar genug sein.“ (S.19f)
„Unsere europäischen Nachbarn und Partner trafen der Mauerfall und die Aussicht auf die Wiedervereinigung Deutschlands wie ein Schock. [...] Der Mauerfall kam daher für die meisten schlicht ungelegen.“ (S. 20)
„Es hätte alles auch ganz anders kommen können. Es war auch ein Geschenk. Das wollen wir nie vergessen. Es sollte uns einmal mehr Ansporn und Verpflichtung für die Zukunft sein.“ (S. 22)
„Als wir uns im Herbst 1989 nach dem Fall der Mauer auf den Weg zur Einheit machten, war es wie vor der Durchquerung eines Hochmoors: Wir standen knietief im Wasser, Nebel behinderte die Sicht, und wir wussten nur, dass es irgendwo einen festen Pfad geben musste. Wo er genau verlief, wussten wir nicht. Schritt für Schritt tasteten wir uns vor und kamen schließlich wohlbehalten auf der anderen Seite an. Ohne Gottes Hilfe hätten wir es nicht geschafft.“ (S. 408)
(Zeichnung v. Ernst Günter Hansing, 1996)
Helmut Kohls Aussagen sind zeitlos.
Seine Worte rufen uns – erst recht 35 Jahre danach – eindringlich ins Bewusstsein, dass die Deutsche Einheit zu keinem Zeitpunkt eine Selbstverständlichkeit oder ein Selbstläufer war.
Sie rufen uns vor allem auch in Erinnerung, dass wir die Deutsche Einheit nicht schlechtreden, sondern uns freuen sollten, dass wir sie erreicht haben.
1989/90 hätte alles auch ganz anders kommen können, sagt Helmut Kohl. Ganz anders, das heißt mit Toten, mit Krieg, mit weiterhin andauernder Zweiteilung unseres Landes und der Welt in einen freien und einen unfreien Teil.
Helmut Kohls Worte zeigen noch etwas anderes: Die Situation war damals auch für ihn sehr unübersichtlich, es gab außerdem vielfältige Widerstände im In- und Ausland gegen die Deutsche Einheit. Das Bild von der Durchquerung des in jeder Weise undurchsichtigen Hochmoors, in dem der feste Pfad gefunden werden musste, spiegelt das gut wider.
Und so stellt sich die Frage: Wie hat Helmut Kohl das geschafft? Wie ist es ihm gelungen, in den wesentlichen Fragen 1989/90 als deutscher Bundeskanzler das Richtige zu tun?
Die Antwort ist klar: Helmut Kohl war 1989/90 schon auf Kurs, er musste nicht erst überredet werden. Er wollte die Deutsche Einheit immer schon, er hat immer an sie geglaubt. Er hatte seine Politik konsequent daran ausgerichtet, die Tür zur Deutschen Einheit offenzuhalten.
Bis 1989/90 musste er sich für sein Festhalten an der Deutschen Einheit als „Ewiggestriger“ verspotten lassen. Seit 1990 ist er der „Kanzler der Einheit“.
Ohne Helmut Kohl und sein Stehvermögen hätte es die Deutsche Einheit 1990 nicht gegeben.
Deshalb:
Danke Helmut Kohl für die Einheit – in Deutschland und Europa!
Danke für die Chance, die 1990 auf Frieden und Freiheit in Europa auch in Zukunft bestand.
Maike Kohl-Richter, Ludwigshafen
Vorstand der Helmut-Kohl-Stiftung e.V.
